Ein Schluck Geschichte: Die Legende der Mineralquelle Eglisau

Vivi Kola und Eglisau gehören zusammen wie Pommes und Ketchup, Mond und Sterne oder Musik und Tanz. Die Geschichte geht weit zurück zu den Ursprüngen der Mineralquelle Eglisau. Und damit beschäftigte sich die letzten Monate Historiker Matthias Nast. Er arbeitete an der Ausstellung im Ortsmuseum Eglisau, welche seit Anfang April die Sonderausstellung «100 Jahre Mineralquelle Eglisau – von Eglisana bis Vivi Kola» zeigt. Die Herstellung von Softgetränken mag ein kleiner Schritt in der Konsumkultur der Weltgeschichte gewesen sein, aber ein umso grösserer – und vor allem wegweisender – Schritt für die kleine Stadt am Rhein.

1821 wurde beim Gasthaus Krone nach Salz gebohrt, doch stattdessen stiessen die Arbeiter*innen auf eine Mineralwasserquelle. Diese versorgte später ein Kurhaus, welches das Wasser nicht nur zum Baden, sondern auch zur Trinkkur empfahl. Reich an Mineralstoffen wie Jod, Fluor und Brom konnte es den Bankrott des Betriebs jedoch nicht abwenden. Im Gegenteil, vielleicht trug es sogar dazu bei.

Mineralquelle Eglisau 1930
Die Mineralquelle Eglisau wurde 1924 gegründet.

1924 übernahmen neue Eigentümer die Quelle. Sie hatten Grosses vor: Sie wollten mit dem Mineralwasser aus dem Zürcher Unterland die Schweiz erobern. Doch beim Eidgenössischen Schützenfest desselben Jahres wurden von 20’000 Flaschen satte 19’500 zurückgebracht. Medizinisch mochten Jod, Fluor und Brom überzeugen, geschmacklich offensichtlich weniger. Matthias Nast bringt es auf den Punkt: «Das Wasser aus Eglisau stank.» Ein neuer Plan musste her.

Die Mineralquelle Eglisau richtete sich nach neuen Konsumgewohnheiten aus und setzte von Anfang an auf modernste Vermarktungsmethoden. Sie konnte Arbeit und Aufschwung nach Eglisau bringen. Doch nach dem Fiasko beim Schützenfest standen die Pioniere vor einem Problem: Wie sollen mit einem unverkäuflichen Produkt Geschäfte gemacht werden? Die Antwort lag in einer Zutat, die der Limonade im Süden Europas schon vor Jahrhunderten ihren Geschmack verliehen hatte: Zitronenessenz. 1926 begann die Produktion im industriellen Massstab. Eglisana wurde die erste Schweizer Zitronenlimonade und ein Erfolg auf einem Markt, der so zuvor nicht existiert hatte. Traditionell hatten sich Männer mit Bier, Wein oder Most erfrischt und alkoholfreie Süssgetränke galten als «unmännlich». Doch Werbung mit Themen wie Sport und Freizeit machte die Eglisauer Limonade plötzlich auch für diese Zielgruppe interessant. In den frühen 1930er Jahren warb sogar die erste Maschine der Swissair für das Sprudelwasser mit einem Eglisana-Logo, das über die gesamte Flügelspannweite reichte.

Vivi Kola gelang als Sponsorin der Tour de Suisse der Durchbruch.

Der Legende zufolge entsandte die Mineralquelle 1938 ihre Mitarbeitenden nach Kamerun, um die geheimnisvolle Kolanuss zu suchen und nach Eglisau zu bringen – mit Erfolg. Dies war der Start von Vivi Kola, mit dem die Eglisauer*innen den amerikanischen Cola-Getränken die Stirn geboten hatten. Der Durchbruch gelang 1949. Während der Blütezeit des Schweizer Radsports trat Vivi Kola als Sponsoring der Tour de Suisse auf. Radfahrlegenden wie Hugo Koblet, Göpf Weilenmann oder Ernst Stettler machten von sich Reden und stürzten im Zielraum vor den Kameras jeweils ein Vivi Kola herunter. Das «Rennfahrerbier» war nun in aller Munde. 

Mitarbeitende der Mineralquelle begleiteten die Tour de Suisse jeweils mit einem Werbewagen und sangen durch dessen Mikrofon den Vivi-Samba.

Vivi-Samba

Hervorzuheben ist besonders, dass die Aromatisierung ihres Wassers den Eglisauer*innen das Kapital für die Zukunft bescherte. Im Laufe der Jahre produzierten sie eine Vielzahl von Softgetränken für die beginnende Ära des Massenkonsums.

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Doch nicht nur das breite Produktsortiment, sondern vor allem auch die Spuren, die Eglisana & Co. in der Konsumkultur hinterliessen, sind für Historiker Matthias Nast von Bedeutung. Zusammen mit einem weiteren Historiker hat Nast Interviews mit Zeitzeug*innen geführt, die im ViCAFE Eglisau an drei Hörstationen zu hören sind.

Zum Beispiel mit einem Lastwagenfahrer, der zwanzig Jahre lang für die Mineralquelle Eglisau AG durch das Land gefahren ist, auch über den Gotthard und «nach Welschland runter», auf einer «Saucheib» von Strasse. Oder mit einer Angestellten, die ihre kaufmännische Lehre im Betrieb absolvierte und oft zum Probieren neuer Sorten herangezogen wurde – noch vor dem Frühstück. «Das landete im Magen», lacht sie. Und dann gab es noch die Nachmittage mit Gratisproben, die Kinder von weither nach Eglisau lockten. Diese machten Eglisau zum Ziel für Schulausflüge aus der ganzen Region. «Darüber reden die Leute noch heute», sagt Matthias Nast.

Vivi Kola Abfüllung
Vivi Kola wird heute wieder in Eglisau abgefüllt.
Christian Forrer
Christian Forrer während der Eröffnung der heutigen Vivi Manufaktur.

Nast arbeitet als Dozent an der HWZ, der Hochschule für Wirtschaft in Zürich, und als Mitverantwortlicher für den Studiengang «Business Communications». Nach Feierabend kümmert er sich, wie viele andere im Team, um die lokale Geschichte Eglisaus. Sie arbeiten ehrenamtlich im Auftrag der Gemeinde an der Ausstellung im Ortsmuseum. «Wir arbeiten mit den Möglichkeiten, die wir haben», sagt Nast. Zum Team gehört auch eine Architektin, die sich um den Ausstellungsbau kümmert, sowie Christian Forrer, der Vivi Kola 2010 wieder zum Sprudeln gebracht hat.

Christian Forrer nahm die Produktion mit einer neuen Firma wieder auf, nachdem die Fabrik geschlossen wurde. Das war 2010, nach einer Reihe immer unglücklicherer Übernahmen und Fusionen, mit denen die Eglisauer Traditionsmarken nach und nach verschwanden. Im neuen Vivi Kola steckt viel Nostalgie, so wie in der ganzen Geschichte der Mineralquelle Eglisau, die dieses Jahr ihr hundertjähriges Bestehen feiert. Die Sonderschau im Ortsmuseum trägt nun das industrielle Erbe des Städtchens und lässt verschwundene Arbeits- und Lebenswelten wieder aufleben.

Eglisana
Eglisana Plakat
Vivi Kola Plakat von 1948
Vivi Kola Plakat von 1948

100 Jahre Mineralquelle Eglisau – von Eglisana bis Vivi Kola, ab 7. April im Ortsmuseum Eglisau, geöffnet an jedem ersten Sonntag im Monat. Im ViCAFE Eglisau stehen drei Hörstationen bereit, an denen frühere Arbeitnehmer*innen Geschichten und Anekdoten erzählen.

 

Blogbeitrag in Anlehnung an NZZ-Artikel «Was hat Sprudelwasser mit Heimat zu tun?» vom 5.4.2024.

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